(ES)CAPE: Penelopes Weben als Flucht an Ort und Stelle

Landscape (Foto: Lena Sudmann)

In seinen „Dialogen“ mit Claire Parnet kommt Gilles Deleuze mehrfach auf das Thema des Fliehens und der Flucht zu sprechen. Dabei gibt er unter anderem folgende Beschreibung, die bei genauem Hinsehen höchst ungewöhnlich anmutet:

„‚Fliehen‘ deckt sich nicht genau mit ‚reisen‘, nicht einmal mit ’sich von der Stelle bewegen‘ – schließlich gibt es ja auch Reisen à la française: organisierte Bildungsreisen, auf denen man sein ‚Ich‘ mitschleppt. Auch kann eine Flucht auf der Stelle stattfinden, als unbewegte Reise. Toynbee weist nach, daß Nomaden im strengen, im geographischen Sinn weder Wanderer noch Reisende sind, vielmehr Leute, die sich nicht von der Stelle rühren, die sich an die Steppe klammern. Unbewegte, große Schritte einer Fluchtlinie an Ort und Stelle folgend: sie als die größten Erfinder neuartiger Waffen“.1

Zwei Aspekte an dieser Passage erscheinen bemerkenswert, wenn nicht gar kontraintuitiv. Zum einen unterläuft die Rede von einer „Flucht auf der Stelle“ offenbar die Vorstellungen, die man sich für gewöhnlich vom Fliehen macht: Flucht bedeutet damit für Deleuze nicht notwendig Weggehen, nicht Aufbruch oder Auszug im geographischen Sinn. Ganz im Gegenteil, kann sie sich offenbar auch im Moment eines Stillstandes vollziehen – im Modus „unbewegter Schritte“, was immer das sein mag. Zum anderen wirkt es umso eigentümlicher, wenn die „Flucht auf der Stelle“ ausgerechnet mit der Begriffsperson des Nomaden verbunden wird, mit jener Figur also, die landläufig geradezu als Paradigma einer Existenz angesehen wird, die, wieder im geographischen Sinn, niemals an Ort und Stelle verharrt, niemals zur Ruhe kommen mag. Hinzu kommt schließlich das kriegerische Moment, das Deleuze der „Flucht auf der Stelle“ zuspricht: Eine unbewegte Reise lässt „neuartige Waffen“ erfinden – es handelt sich also um eine aktive, konstituierende und produktive Tätigkeit.

Von dieser Idee einer unbewegten Flucht ausgehend, möchte ich im Folgenden eine Figur genauer in den Blick nehmen, in der sich die paradoxen oder auch sich wechselseitig spaltenden Verhältnisse von Fluchtbewegung und Stillstand verdichten und die dabei ganz am Beginn – vielleicht am äußersten Rand – der europäischen Literaturüberlieferung steht: Es handelt sich um die Figur der Penelope und ihre Webelist. Denn einerseits sitzt Penelope versteckt und fast unbeweglich in ihrer kleinen Webkammer, mitten in Ithaka und damit auch inmitten der Freier, vor denen sie sich andererseits auf einer permanenten Flucht befindet. Und dabei vollzieht sie zwar auf den ersten Blick gerade keinen beständigen Ortswechsel, wie es ihr Gatte, der durch den Raum irrende Odysseus, tut. Doch zugleich manifestiert sich in ihrer Aktivität – dem beständigen Zusammenweben und Wiederauflösen des Leichentuchs – eine permanente Bewegung, die sich in ein spezifisches Verhältnis zu den Irrfahrten des Odysseus setzen lässt.

Ich möchte im Folgenden in zwei Schritten vorgehen: Zunächst versuche ich, im Kontext der Begrifflichkeit von Deleuze das kriegerische bzw. verteidigende Moment an Penelopes „Flucht an Ort und Stelle“ herauszuarbeiten und ihre Waffentechnik genauer zu beschreiben. Anschließend werde ich fragen, inwiefern Penelopes Aktivität zusätzlich eine Tendenz innewohnt, die über den kriegerischen Impuls nicht nur hinausgeht, sondern ihm vielleicht sogar widerstreitet: eine Tendenz nicht des Dissoziierens, sondern des Assoziierens, keine „Kriegsmaschine“ (Deleuze), sondern eine Maschine der Versöhnung. In diesem zweiten Teil werde ich auf Michel Serres‘ Lesart der Penelope-Figur zurückgreifen, die durchaus in großer Nähe zu Deleuze steht, zugleich aber auch eine bemerkenswerte theoretische und theoriepolitische Akzentverschiebung impliziert und eine offene Frage an die gegenwärtige Theoriebildung darstellt.

Penelopes Flucht an Ort und Stelle

Beschäftigt man sich mit der Odyssee Homers und, unauflöslich damit verbunden, mit den verschiedenen Deutungen und Interpretationen einer der ältesten und einflussreichsten Dichtungen der abendländischen Literatur, so ist zunächst auffällig, dass „die großen Geistesgaben des Helden Odysseus“, wie der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider konstatiert hat, „ein reiches und kontroverses Kommentarwesen“2 hervorgebracht haben, die Figur der Penelope und ihre den Fähigkeiten von Odysseus ebenbürtige Klugheit hingegen meistens unter den Tisch fallen. Dabei stellt die Odyssee, wie Stefanie Lethbridge entgegen einer herrschenden Lesart konstatiert hat, „rein quantitativ […] weniger das Epos einer Reise, als das Epos des von Odysseus verlassenen, aber von Penelope bewahrten Zuhauses“ dar.3 Penelope kommt als Ehefrau von Odysseus und Mutter von Telemachos daher insbesondere in der zweiten Hälfte des Epos eine prominente Rolle zu.

Die Beschreibung von Odysseus und Penelope ist dabei zumeist auf ein Denken in Oppositionen beschränkt. In einer solch oberflächlichen Lesart erscheint Odysseus beispielsweise immer wieder als der listige und vielgewandte (polytropos) Held, der die Meere überquert und als Reisender, wie es scheint, ständig „unterwegs“, ständig in Bewegung ist. Penelope hingegen spielt in dieser Opposition lediglich die Rolle der treuen und zu Hause gebliebenen Ehefrau, die auf die Rückkehr ihres Mannes wartet und zur Abwehr all der aufdringlich werbenden Freier ihre Webarbeit an Laertes‘ Leichentuch als Ausrede vorschiebt und viel Zeit, fast unbeweglich und unter Ausschluss des Öffentlichen, in ihrer kleinen Kammer am Webstuhl verbringt.

Ein solch eindeutig vorgetragener Dualismus lädt nun dazu ein, die Opposition von Bewegung und Stillstand und damit auch das Verhältnis von Odysseus und Penelope genauer in den Blick zu nehmen – was also ist Penelopes spezifische Strategie und inwiefern kann ihre List als Flucht begriffen werden?

Im zweiten Gesang der Odyssee findet Penelopes Webelist das erste Mal Erwähnung (im gleichen Wortlaut, jedoch in anderen Konstellationen, wird in der Odyssee noch zwei weitere Male auf Penelopes Webelist rekurriert).4 In einer von Telemachos einberufenen Versammlung des Volkes kommt der Freier Antinoos auf Penelopes „schlaues Geheimnis“ (Od. 2, 108) zu sprechen. In seiner Gegenrede zu Telemachos bezeichnet der aufgebrachte Antinoos Penelope als „Listigste unter den Weibern“ (Od. 2, 88), die „trüglich“ (Od. 2, 94) und „mit eitle[m] Wahne die edlen Achaier verspottet“ (Od. 2, 90), wenn sie „des Nachts […] beim Scheine der Fackeln“ (Od. 2, 105) das Gewebe wieder auftrennt, um eine erneute Hochzeit mit einem der Freier weiter hinauszuzögern. Die schützende Dunkelheit und Ruhe der Nacht ist dabei zunächst von entscheidender Bedeutung für das Gelingen der Webelist: Nur in der Nacht, wenn die meisten Menschen, und damit auch die am Tage unablässig werbenden Freier, schlafen, kann Penelope im Schutze der Dunkelheit ungestört und unbeobachtet das am Tag produzierte Gewebe wieder auftrennen und damit einen Ausweg aus ihrer verzwickten Situation heraus finden. Die sich entziehende und fliehende Kraft von Penelopes Webelist liegt jedoch nicht nur in der Nacht als ‚Gegenzeit‘, sondern vor allem auch in einem Aufschub von Zeit begründet. Und genau in diesem Spiel des Aufschubs zeigen sich letztlich, laut Antinoos, Penelopes Täuschung und ihr Betrug, ermöglicht es ihr doch, ihre Ehrbarkeit und ihre Ehe zu erhalten.5

Penelope geht es in ihrer Webarbeit in erster Linie also weniger darum, ein schmuckvolles Gewand herzustellen oder sich die Zeit zu vertreiben, sondern vielmehr darum, Zeit zu gewinnen (aber auch: (sich) Zeit zu nehmen, Zeit zu haben und Zeit zu geben). Das entscheidende Charakteristikum von Penelopes Kunstgriff besteht darin, „die Zeit zu sistieren und zu strukturieren“.6 Dabei hat sie buchstäblich die Fäden in der Hand und wird in ihrer scheinbaren Unbeweglichkeit zur aktiv Handelnden: das beständige Auftrennen des Gewebes in der Nacht lässt sie Zeit gewinnen und gibt ihr die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Fertigstellung des Leichentuches in eine unbestimmte Zukunft zu verlängern und damit das Kommen und Gehen der Freier zu kontrollieren.

Der maßgebliche Punkt ihrer Fluchtbewegung besteht also gerade in dieser Logik des Aufschubs und der Stockung: Es geht darum, das Setzen eines Punktes, das Treffen einer Entscheidung zu einer erneuten Heirat, so lange wie möglich, hinauszuzögern. Penelope vollzieht dabei in gewisser Weise eine Gegenbewegung zu Odysseus: Während man Odysseus‘ gesamte Irrfahrt als den Versuch beschreiben könnte, nach Hause, zurück nach Ithaka, und damit auf einen festen Punkt zu kommen, besteht Penelopes List darin, die Fertigstellung des Leichentuchs kontinuierlich aufzuschieben, keinen Abschluss zu finden und damit gerade nicht zu einem Ende und zu einem Fixpunkt zu kommen. Und obwohl Odysseus Reise auch durch einen Aufschub gekennzeichnet ist, besteht der Unterschied und die Gegenbewegung darin, dass Odysseus‘ Aufschub, im Gegensatz zu Penelopes, nicht beabsichtigt ist. Penelope erweist sich in dieser von ihr eröffneten Zone der Unbestimmtheit und Ambiguität als Herrin über die Zeit und wird, vor allem in von feministischer Seite stark gemachten Interpretationen, durch ihre List zur Gestalterin ihres eigenen Schicksals.7

Der entscheidende Punkt für die Frage nach einer Flucht auf der Stelle liegt nun darin begründet, dass Penelopes Weben im Aufschub zugleich eine permanente Bewegung darstellt: Das Weben selbst besteht aus einer unendlichen Reihung von Wiederholungen, aus dem Verkreuzen von Kett- und Schussfaden, d.h. dem endlosen Gleiten des am Webschiffchen befestigten Schussfadens über und unter die Kettfäden hindurch. Wenn Penelope in der Nacht ihr Gewebe nun wieder auftrennt und das am Tag Gewebte wieder rückgängig macht, und das ist das Spezifische ihrer List, verkehrt sich ihre Bewegung in eine Gegenbewegung. Das Webschiffchen legt nun in entgegengesetzter Richtung den gleichen Weg zurück, den es bei der Herstellung genommen hat. Der am Webschiffchen befestigte Schussfaden wird so aus den vertikal gespannten Kettfäden wieder herausgezogen, die Verkreuzung der beiden Fadensysteme aufgehoben und das Gewebe aufgelöst. Was nach dem Auftrennen des Gewebes bleibt, sind die Kettfäden; der waagerechte Schussfaden ist nicht mehr sichtbar; er befindet sich aufgewickelt auf der Fadenspule des Webschiffchens.

Interessanterweise liegt die fliehende (und zugleich schützende) Funktion der Webelist vor den werbenden Freiern in der Struktur der Webelist selbst: und zwar handelt es sich um ein Gewebe, das nicht wächst. Man könnte Penelopes Verteidigungsstrategie und Waffe in gewisser Weise als eine Art Panzerung beschreiben, die in ihrem Moment der Öffnung einer klassisch militärischen Panzerungs- und Abschottungstaktik entgegensteht und eben keine Mauern errichtet, aber (um im kriegerischen Bild zu bleiben) wahrscheinlich gerade deshalb die Feinde zurückhält. Deleuze und Guattari, die gleich zu Beginn ihrer Studie über Kafka auf dessen Erzählung Der Bau zu sprechen kommen, beschreiben eine ähnliche Figur. Sie konstatieren, dass Kafkas Bau gerade durch seine vielen Eingänge, Gänge und Verzweigungen den Feind täusche und sein Eindringen behindere.8 Das Gewebe lässt sich so als eine vielfach geöffnete Struktur begreifen, die taktisch als List eingesetzt werden kann, und entgegen einer Bewegung der Feststellung, die auf einen Punkt, auf ein Ende abzielt, arbeitet – und zwar nicht nur auf Ebene der Gewebestruktur, sondern auch auf das Hin und Her des Webschiffchens und den Prozess der Produktion bezogen. Wenn Penelope nun einer endgültigen Entscheidung und Feststellung entgegenarbeitet, heißt das also, den ‚Gewebepanzer‘ nicht wachsen zu lassen und ihn niemals vollständig fertigzustellen, sondern ihn gewissermaßen immer in der Schwebe zu halten. Auch wird nur so eine Offenheit beibehalten, die den Ansatzpunkt bildet, um das Gewebe und die darin eingeschriebene Panzerung Nacht für Nacht wieder rückgängig zu machen.9 Der Panzer bietet also gerade deswegen Schutz, weil er offen und nicht, wie man landläufig annehmen würde, geschlossen ist.

Über die Notwendigkeit einer Abwehr hinaus resultiert Penelopes ständige Bewegung zugleich aus einer Verknüpfung von Text und Textil: Denn Penelope zeichnet sich nicht nur durch ihr überragendes Geschick am Webstuhl aus, sondern verfügt auch über eine flinke Zunge und das Talent, Geschichten zu erzählen und auszuspinnen.10 Penelopes wichtigste Attribute – der Webstuhl, das hin- und hergehende Webschiffchen und der Stoff des Gewebes – symbolisieren diese Begabung. Durch ihre Webelist wird Penelope nicht nur, wie bereits betont, zur aktiv Handelnden und zur Gestalterin ihres eigenen Schicksals, sondern auch zur Schöpferin ihrer eigenen Geschichte: Penelopes Weben ist direkt mit der Erzählung der Odyssee verwirkt. Im Gegensatz etwa zu Philomelas Webarbeit, die für ihre Schwester Prokne ein Gewand anfertigt, das mittels eingewebter Bilder die Geschichte ihrer Vergewaltigung durch Tereus erzählt, weist Penelopes Gewebe keine Muster und Formen und damit auch keine bedeutungstragenden Zeichen auf. Ihr Gewebe funktioniert nicht als Träger einer heimlichen Botschaft, die von einem Ort zum anderen übertragen wird, sondern funktioniert in seiner Struktur des Webens und Wiederauflösens als textiler Text, der die Geschichte von Odysseus Irrfahrt vor- und nachzeichnet und den Text der Odyssee überhaupt erst hervorbringt. Wie Manfred Schneider herausgestellt hat, produziert Penelope das „Gewebe, die Textur, den Text, den Odysseus als Erzähler seiner eigenen Geschichte erlebt und berichtet. Die Spiegelung und die Ergänzung ergeben sich daraus, daß Odysseus im Mittelmeerraum umherirrt, ohne voranzukommen, während Penelope ihr Gewebtes jeweils in der Nacht wieder auflöst. Und doch hält das Gewebe, das sich auf diese Weise langsam in Vor- und Rückschritten entfaltet, die Struktur der Geschichte fest, die Odysseus kontinuierlich erzählt. Während sein Schiff von Stürmen und Zufällen, von Schicksals- und Götterlaunen bald hierhin, bald dorthin getrieben wird, bewegt sich das Webschiffchen Penelopes zwar weniger zufällig, aber doch spiegelbildlich in jenem unaufhörlichen Hin und Her, worin sich das Fatum (die Geschichte) ihres Mannes nachzeichnet und aufschreibt“.11

Das beständige Zusammenweben und Wiederauflösen ist in seinem Aufschub von Zeit und in seiner vielfach geöffneten Struktur nicht nur eine Waffe und eine Strategie des Entzugs, sondern enthält in seiner Verknüpfung von Text und Textil und den Verschaltungen mit Odysseus irrender Bewegung durch den Raum ein weiteres produktives, aber zugleich auch ein synthetisierendes Moment.

Im Anschluss an Schneider, der in seiner Argumentation an die Arbeiten von Michel Serres, und insbesondere an dessen Überlegungen zur Odyssee in seinem Text „Diskurs und Parcours“,12 anknüpft, möchte ich nun im Folgenden die Perspektive Serres‘ genauer in den Blick nehmen. Anhand dessen Ausführungen zur topologischen Struktur der Odyssee und zu Penelopes Webarbeit als Theoriearbeit soll die zu Beginn bereits angesprochene Tendenz des Versöhnens nun stärker konturiert werden.

Penelope als Theoretikerin

Für Serres ist die Irrfahrt des Odysseus ein Parcours ‚und‘ ein Diskurs. Wobei er zugleich klarstellt, dass es sich dabei nicht um „den Diskurs über einen Parcours“ handelt, sondern „um den Parcours eines Diskurses, […] um den Kurs, die Route, den Weg, die durch die ursprüngliche Disjunktion hindurchführen“ (DP, 216) und den mythischen Diskurs erst hervorbringen.13

Die Odyssee stellt also für Serres, wie auch der Mythos des Ödipus, eine Reise durch die räumlichen getrennten Mannigfaltigkeiten des mythischen Raumes dar. Der Mythos ist nicht begehbar und jeder Parcours durch diesen führt durch „räumliche Zufälle, Verzweigungen, Katastrophen und Schleifen“ (DP, 215). Und gerade weil der Mythos sich ursprünglich in disjunkten Räumen entfaltete, musste Odysseus während seiner Irrfahrt immer wieder auf Schluchten und Risse stoßen und an den Rändern und Bruchstellen dieser mythischen Räume scheitern.14

Ein weiterer Grund für dieses Scheitern besteht zudem in dem chimärischen Charakter der mythischen Räume, wodurch Kategorien wie „offen“ und „geschlossen“ oder „außen“ und „innen“ miteinander kombiniert werden. Zugleich wird hier auf die topologische, und nicht-euklidische, Dimension des Raumes der Odyssee verwiesen:

„Die unerreichbaren Inseln und Länder, die man nicht verlassen kann. Der Strand, auf den die Katastrophe einen wirft, die Brandung, die Ufer, von denen man abgetrieben wird, so nah man ihnen einen Augenblick auch war. Das Einbringen eines hölzernen Pferdes in die geschlossene Stadt, wobei die Krieger zugleich innerhalb der Stadt sind und außerhalb, da sie sich im Inneren eines geschlossenen Kastens befinden, der sich innerhalb der Stadt befindet. […] Die Blendung des Zyklopen soll zeigen, daß ein geschlossenes System für den Sehenden nicht dasselbe ist wie für jemanden, der nur noch seine Haut hat. Die Vorbeifahrt an den anziehenden Gestaden der Sirenen, das heißt an einer Nachbarschaft oder Adhäsion, die für den Tauben offen, für den Hörenden dagegen geschlossen ist. Die Karte dieser Reise ist voll von vollkommen zerstreuten, im wörtlichen Sinne sporadischen Räumen, und jeder von ihnen ist strengstens determiniert, während die gesamte Irrfahrt, das mythische Abenteuer, letztlich nur ihre allgemeine Verknüpfung darstellt. Als hätte der Diskurs nur ein Ziel, nämlich Verbindungen herzustellen. Oder als wäre die Verknüpfung, die Beziehung, der Rapport, nichts anderes als der Weg, den der Urdiskurs nimmt. Mythos gleich Urlogos; Transport gleich Urrapport. Verbindung als Voraussetzung des Verkehrs.“ (DP, 216f.)

Um diesen mythischen Raum begehbar zu machen, um „einen einheitlichen Raum der möglichen Transportvorgänge oder der stets möglichen Transfers“ (DP, 219) zu schaffen und an der Schließung der Risse und Spalten zu arbeiten, die diesen Raum durchziehen, braucht es, laut Serres, den „Weber“.15 Denn gerade die Webkunst schaffe es, „Fäden mit unendlich vielfältigen Nuancen“ (DP, 217) und letztlich „das Rationale und das Irrationale“ (ebd.) miteinander zu verknüpfen.

Der Weber, der zwei getrennte Welten zusammennäht und „Brücken, Wege, Brunnen oder Stationen zwischen radikal verschiedenen Räumen“ (DP, 212) herstellt, verkörpert für Serres den „Proto-Arbeiter des Raumes, Prosopopöe der Topologie und der Knoten, den Weber, der daran arbeitet, zwei getrennte Welten lokal zusammenzunähen, zwei Welten, so sagt der einheimische Mythos, die durch einen jähen Absturz getrennt sind, eine metastrophale Zäsur, an der sich Tod und Schiffbruch häufen: die Katastrophe“ (DP, 220). Diese Aufgabe des Webens, des Zusammennähens kommt nun in der Odyssee Penelope zu.

Mit Michel Serres haben wir es hier also mit zwei Ebenen zu tun: Erstens erfüllen der Parcours der Odyssee und die Erzählung der Irrfahrten die Funktion, die Räume des Mythos miteinander zu verknüpfen. Zweitens zeichnet Penelopes Webarbeit und das Hin- und Her ihres Webschiffchens genau dieses Verfahren (vor und) nach. Serres sieht Penelope daher auch „in der Position des Theoretikers“ (DP, 217). Sie ist „die Autorin des Diskurses, sie unterzeichnet ihn, sie zeichnet seinen Graphen, die Kurve seiner Bahn, seinen Parcours. Sie webt und löst dieses Gewebe, welches das Vor und Zurück des Seefahrers nachzeichnet. Den Kurs des Odysseus an Bord seines Schiffes, dieses Weberschiffchens, dessen Bewegungen Fasern, die durch Leere getrennt sind, miteinander verflechten.“ (DP, 217) Nach Serres steht Penelopes Webkunst für einen Logos, der bereits präsent ist und der die von Rissen umgebenen Mannigfaltigkeiten zu ordnen und zu verknüpfen beginnt.16

Dass in dieser Lesart des Mythos von einem Logos die Rede ist und dieser mit der Figur der Penelope und somit einer weiblichen Seite verknüpft ist, mag auf den ersten Blick vor dem Hintergrund einer feministischen und poststrukturalistischen Kritik am Logozentrismus erstaunen. Auch vor dem Hintergrund der Überlegungen Adornos und Horkheimers in der Dialektik der Aufklärung, wonach der Übergang vom Mythos zur Aufklärung einen Prozess der Entzauberung und Entmythologisierung darstellt und sich in dessen Folge eine Unterwerfung der Natur unter den Logos vollzieht,17 mutet es paradox an, dass Serres im Bereich des Mythischen bereits den Urlogos aufscheinen sieht und Mythos und Logos als jeweils verschiedene Organisationen des Denkens miteinander zu verknüpfen scheint. Um diese Faltung in Serres‘ Denken zu verstehen und missverständlichen Lesarten vorzubeugen, muss hier genau differenziert werden.

Serres‘ zentraler Punkt ist zunächst, dass der Weber bzw. die Weberin im mythischen Diskurs Verbindungen zwischen den Dingen und auseinanderfallenden Räumen des Mythos herstellt. Ein Blick auf den Zusammenhang von Mythos und Weben in der griechischen Antike kann an dieser Stelle möglicherweise für mehr Klarheit sorgen: Laut Ellen Harlizius-Klück wird das Weben „aufgrund seiner diskontinuierlichen Ordnung (Bindungsstruktur) aus zwei Systemen kontinuierlicher Elemente (Kettfäden und Schussfäden)“18 im Mythos als Form der Welterzeugung eingesetzt, um das Verhältnis von Raum, Zeit und Lebewesen zu verdeutlichen und raum-zeitliche Strukturen zu repräsentieren.19 In dieser Vorstellung eines kosmischen Weltgewebes, eines großen Gewebes, kommt dem Weben die Funktion zu, eine Ordnung zu schaffen und zusammenzuhalten, in die der Einzelne eingewoben ist und die die Dinge, Räume, Orte und Erzählungen in vielfältigen Verbindungen zueinanderstehen und einen Platz haben.20

Wenn Serres nun in Bezug auf das Weben den Mythos mit einem „Urlogos“ gleichsetzt und von einem Logos spricht, der – „wild und weiblich“ (DP, 217) – zwar „präsent“ ist, sich „aber noch in den Händen“ befindet, wird meines Erachtens eine Ordnung hergestellt, die einerseits noch nicht im Logozentrismus aufgeht und sich gewissermaßen unterhalb des Logos vollzieht, sich andererseits dem Logos aber auch nicht vollständig entzieht. Der Logos ist noch in den Händen – die Hände am Webstuhl schaffen eine Differenz, sie teilen und verbinden. Das heißt auch, dass der Logos noch in das Körperliche eingebettet und noch nicht entleiblicht und auf die Vernunft und die Rationalität verengt ist. Zugleich ist hier eine Theorie angesprochen, die auch eine Praxis ist. Theorie und Praxis bilden keine Gegensätze, sondern werden als miteinander verwoben und einander bedingend betrachtet.

In diesem Sinne muss meiner Meinung nach auch der Begriff des Diskurses bei Serres gedacht werden. Der Diskurs ist hier als eine ordnende Instanz, aber noch nicht als sprachliches Denksystem einer symbolischen Ordnung, sondern paradoxerweise als Symbolisierung unterhalb der symbolischen Ordnung zu verstehen. Serres‘ Begriff des Diskurses muss hier eher von seiner Etymologie her gedacht werden, als discurrere im Sinne von Sich-Ausbreiten und Hin-und-her-Laufen oder -Fahren – und zwar ebenso wie Penelopes Webschiffchen das Vor und Zurück des Seefahrers Odysseus vor- und nachzeichnet und somit den Diskurs über einen Parcours erst hervorbringt. Penelope als Theoretikerin zu begreifen, bedeutet somit, den Grund anzuerkennen, warum Odysseus‘ Irrfahrt überhaupt stattfinden kann. Oder in anderen Worten: Penelopes Gewebe markiert hier das Sein der Verknüpfungen, der Relationen im Raum und reflektiert zugleich die Entstehung und Transformation von Strukturen in der Struktur.

Während Odysseus in seinem Parcours durch die mythischen Räume von Station zu Station irrt ohne seiner Heimat näher zu kommen, zeichnet Penelope mit ihrem Gewebe den Parcours des mythischen Diskurses nach. Dabei hält Penelopes Gewebe, das am Tag gewebt und in der Nacht wieder aufgetrennt wird und sich in diesem Ineinander aus Vor- und Rückschritten, Bewegung und Gegenbewegung langsam entfaltet, die Struktur der Geschichte fest, die Odysseus kontinuierlich erzählt. Während Schicksalswendungen, Götterlaunen, Stürme und Zufälle ihm eine Heimfahrt auf direktem Wege versagen und ihn im Zickzackkurs mal hierhin, mal dorthin treiben, bewegt sich Penelopes Webschiffchen zwar weniger stürmisch und zufällig, zeichnet aber in seiner unaufhörlichen Bewegung des Hin und Her (und der Irrfahrt strukturähnlich) die Geschichte ihres Mannes nach und auf.21 Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass die Fertigstellung des Leichentuches genau mit dem Ende der Irrfahrt und Odysseus‘ Heimkehr nach Ithaka zusammenfällt.22 So heißt es im 24. Gesang, kurz nachdem Agamemnon zum dritten und letzten Mal in der Odyssee auf Penelopes Webelist verweist:

„Als sie den großen Mantel gewirkt und sauber gewaschen,/Und er hell, wie die Sonn‘ und der Mond, entgegen uns glänzte;/Siehe da führte mit einmal ein böser Daimon Odysseus/Draußen zum Meierhof, den der Schweine Hüter bewohnte.“ (Od. 24, 147-150)

„Als Odysseus nach Ithaka in den heimischen Palast zurückkehrt, findet er in den Armen der Königin die fertige Theorie seines eigenen Mythos“ (DP, 217), so schreibt Serres. Die Produktion des Gewebes ist also eng mit der Produktion der Erzählung verbunden – in Penelopes Gewebe laufen gewissermaßen Textil- und Textarbeit zusammen.

Zusammenführende Überlegungen: Deleuze und/oder Serres

Wie verhalten sich die beiden Lesarten Penelopes nun genau zueinander? Einerseits scheint sich ja das produktive Moment der Webelist im Sinne Serres‘ mit der deleuzianischen Vorstellung einer konstituierenden und aktiven Fluchtbewegung zu decken. Und doch weist Serres‘ Akzentuierung des versöhnenden Charakters von Penelopes Webarbeit andererseits in eine Richtung, die am Schluss nicht mehr gänzlich mit Deleuze‘ Überlegungen zur Flucht übereinkommt. Das liegt vor allem an einer wichtigen Differenz oder sogar Unvereinbarkeit zwischen der Konzeption des „Nomadischen“ und der „Flucht an Ort und Stelle“ bei Deleuze/Guattari und der spezifischen Tätigkeit des „Webens“.

Für Serres hat das Gewebe als Verkreuzung von Kettfäden und Schussfaden eine strukturbildende Funktion, zugleich kommt Penelopes spezifischer Arbeit des Webens und Wiederauftrennens die Rolle zu, die disjunkten mythischen Räume miteinander zu verknüpfen, also einen Diskurs über den Parcours zu zeichnen. Das aber ist gerade keine Deterritorialisierungsbewegung im Sinne von Deleuze/Guattari – was spätestens dann deutlich wird, wenn man bedenkt, dass das Gewebe in „Tausend Plateaus“ als Paradigma eines „gekerbten Raumes“ – des Raumes des sesshaften, des nicht-nomadischen Lebens – beschrieben wird. In diesem Kontext wird vor allem herausgestellt, dass ein Gewebe zwar in der Länge unendlich sein kann, nicht aber in der Breite, weil diese durch den Rahmen für die Kette festgelegt wird. Folglich setzt, so Deleuze/Guattari, „die Notwendigkeit einer Hin- und Herbewegung […] einen begrenzten Raum voraus“,23 der gerade nicht der Raum des Nomadischen ist.

Mit der Begriffsfigur des Nomaden wiederum sind bei Deleuze/Guattari all jene bezeichnet, „die aus der Steppe kommen, die sich auf einer aktiven und kontinuierlichen Flucht befinden, die Deterritorialisierung überall hintragen, die Fluten vorantreiben, deren Quanten sich erhitzen und die von einer Kriegsmaschine ohne Staat mitgerissen werden“.24 Durch sein nicht besitzergreifendes und aneignendes Verhältnis zu Raum und Territorium vollzieht der Nomade in seiner Bewegung, der Fluchtlinie folgend, ein wanderndes Denken und ein Reisen im Glatten. Denken heißt reisen – und im Glatten zu reisen, bedeutet ein regelrechtes Werden.25 Während nun aber der Nomade in seiner Bewegung durch den Raum versucht, ’nicht‘ zu stolpern, hängen zu bleiben und an den Hindernissen zu scheitern, weil diese Folgen von kerbenden Machtmechanismen sind, stellt es sich in den Überlegungen von Serres nahezu entgegengesetzt dar: So geht es Serres vorrangig darum, ein Konzept zu entwickeln, um die Fragmentierung des von Spalten, Rissen und Löchern zerklüfteten mythischen Raums als vernetzt und auf paradoxe Art und Weise miteinander verbunden zu denken. Serres setzt hier, wie Doris Schweitzer schreibt, „an die Stelle der Flucht oder der Zersetzung […] die Versuche der Versöhnung, die eine Einheit aufzeigt“.26 Und selbst wenn Deleuze/Guattari in der „Konfrontation von Glattem und Gekerbtem“ immer auch „die Übergänge, die Wechsel und die Überlagerungen“ betonen, die „heute und in den unterschiedlichen Richtungen“27 stattfinden, dann ist ihr Ansatz dennoch insofern von dem Serres‘ zu unterschieden, als die deterritorialisierende Energie des Nomaden eine „Strategie des kriegerischen Dazwischentreten“ bezeichnet, während Serres versucht, das „versöhnende Dazwischentreten selbst theoretisch streng“28 zu fassen. Wenn Serres Penelope nun als Theoretikerin begreift, bewegt er sich von der kriegerischen und aggressiven Konzeption von Flucht weg und verortet das fliehende Potential mit Penelope als Theoretikerin eher in der Theoriearbeit selbst (womit sich zugleich der Vorwurf an Theorie als Eskapismus noch einmal neu denken ließe).

Nach Schweitzer, die in ihrer Studie ‚Topologien der Kritik‘ die unterschiedlichen Perspektiven von Deleuze und Serres diffizil herausgearbeitet hat, markieren Serres‘ eher auf eine Synthetisierung abzielende Überlegungen „eine zentrale Problematik von Deleuze, die er bereits selbst benannt hatte: Das Problem der widerständischen Kraft der Bewegung der Grenzüberschreitung, der Grenznegierung und der Flucht aus vorgegebenen (staatlichen) Bahnen“.29 Das Schwierige daran ist nun, wie Schweitzer weiter ausführt, dass die Überschreitungs- und Fluchtbewegung einer Vorstellung von Einheit entgegengesetzt ist, deren Dominanz im Übergang zum 21. Jahrhundert immer brüchiger geworden ist. Damit geht eine Entwicklung einher, die das Nomadische selbst immer mehr zu einem kulturellen Paradigma gemacht hat. In demselben Maß scheint aber auch die fliehende und widerständige Kraft des Nomaden in Frage gestellt: „der Nomade [insistiert] nicht mehr, sondern wird zur Figur der Gegenwart. Und auf genau dieses Problem verweist Serres mit seiner Beschreibung der Topologien der Kritik“.30

Damit ist keineswegs eine Verabschiedungsgeste impliziert, vielmehr ist es unmöglich, eine Entscheidung zwischen einer eher dissoziierenden im Sinne Deleuze‘ und einer eher versöhnenden Konzeption von Flucht im Sinne Serres‘ zu treffen. Es handelt sich um zwei Ansätze, bei denen unklar ist, wie sie sich genau zueinander verhalten und die einander eher als zwei widerstreitende Tendenzen innezuwohnen scheinen, als dass sie eine harte Opposition bilden würden. Auch wenn es sich hier um eine offene und noch nicht beantwortete Frage handelt, kann das Weben der Penelope möglicherweise ein passendes Bild liefern: In dem Wechselspiel aus Verbinden und Trennen (und damit aus Dissoziieren im Sinne Deleuze‘ und Synthetisieren im Sinne Serres‘) verweist ihre Webarbeit auf die Notwendigkeit, Problemlagen wie Differenz und Relationalität, Grenzüberschreitung und Grenzziehung, Vereinheitlichung und Vervielfachung, in ihrer paradoxen Konstellation theoretisch und praktisch zu fassen.

 

Literaturverzeichnis

Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt/Main17 2008.

Gilles Deleuze/Félix Guattari: Kafka: Für eine kleine Literatur. Frankfurt/Main1 1976.

Gilles Deleuze/Claire Parnet: Dialoge. Frankfurt/Main1 1980.

Gilles Deleuze/Félix Guattari: Tausend Plateaus. Berlin1 1992.

Ellen Harlizius-Klück: s.v. „Weben, Spinnen.“ In: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Hg. v. Ralf Konersmann. Darmstadt3 2011, S. 504-524.

Uvo Hölscher: Die Odyssee: Epos zwischen Märchen und Roman. München2 1990.

Stefanie Lethbridge: „Heldenhafte Frau oder nur Frau des Helden? Weibliche Versionen des Odysseusmythos“, In: Odysseus: Irrfahrten durch die Jahrhunderte. Hg. v. Hans-Joachim Gehrke/Mirko Kirschkowski. Freiburg i.Br.1 2009, S. 91-110.

Ulrich Meurer: „Kette, Schuss, Gegenschuss: Penelope als autoreflexive Figur in Godards Le Mépris“. In: Perseus’ Schild: Griechische Frauenbilder im Film. Hg. v. Ulrich Meurer, Marie-Elisabeth Mitsou, Maria Oikonomou. München1 2008, S. 125-161.

John Scheid/Jasper Svenbro: The Craft of Zeus: Myths of Weaving and Fabric. Cambridge/MA2 2001.

Manfred Schneider: Liebe und Betrug: Die Sprache des Verlangens. München1 1994.

Doris Schweitzer: Topologien der Kritik: Kritische Raumkonzeptionen bei Gilles Deleuze und Michel Serres. Berlin1 2011.

Inge Stephan: „Odysseus und die Sirenen: Zur Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer“. In: Musen & Medusen: Mythos und Geschlecht in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Inge Stephan. Köln1 1997, S. 106-132.

Marina Warner: In weiblicher Gestalt: Die Verkörperung des Wahren, Guten und Schönen. Reinbek bei Hamburg1 1989.

 

Endnoten

  1. Gilles Deleuze/Claire Parnet: Dialoge. Frankfurt/Main 1980, S. 46.
  2.  Manfred Schneider: Liebe und Betrug. Die Sprache des Verlangens. München 1994, S. 99.
  3. Stefanie Lethbridge: „Heldenhafte Frau oder nur Frau des Helden? Weibliche Versionen des Odysseusmythos“, In: Odysseus: Irrfahrten durch die Jahrhunderte. Hg. v. Hans-Joachim Gehrke/Mirko Kirschkowski. Freiburg i.Br. 2009, S. 91-110, hier: S. 91. In den letzten Jahren gab es verschiedene Ansätze, die den Fokus der Odyssee von den Irrfahrten des Helden etwas verschoben haben und die weibliche Perspektive der Penelope in den Vordergrund rückten. Beispielsweise seien hier genannt: Margaret Atwood: The Penelopiad. Edinburgh 2006; Dorothy Parker: „Penelope“. In: The Collected Dorothy Parker. London 1973; Inge Merkel: Eine ganz gewöhnliche Ehe: Odysseus und Penelope. Salzburg 21987. Im Bereich der Homer-Forschung vgl. Barbara Clayton: A Penelopean Poetics: Reweaving the Feminine in Homer’s Odyssey. Lanham u.a. 2004; vgl. Marylin A. Katz: Penelope’s Renown: Meaning and Indeterminacy in the Odyssey. Princeton 1991; vgl. Susan Stanford Friedman: Penelopes Web: Gender, Modernity, H.D.’s Fiction. Cambridge 1990; vgl. John J. Winkler: Der gefesselte Eros: Sexualität und Geschlechterverhältnis im antiken Griechenland. Marburg 1994.
  4. Vgl. Homer: Ilias/Odyssee (In der Übersetzung von Johann Heinrich Voß), Stuttgart: Deutscher Bücherbund 1971, 2. Gesang, Z. 93. (Im Folgenden in abgekürzter Form zitiert als Od.). Ein zweites Mal kommt Penelope im 19. Gesang selbst auf ihre List zu sprechen, und zwar im Gespräch mit ihrem bis dahin noch unerkannt gebliebenen und nach Ithaka zurückgekehrten Ehemann Odysseus. (Vgl. Od. 19, 137-55.) Ein drittes Mal findet die List im 24. und letzten Gesang Erwähnung: Agamemnon preist Odysseus glücklich und lobt ihn im Zuge dessen auch für seine kluge und tüchtige Ehefrau, die ihm trotz der drängenden Freier die Treue bewahrt und weiterhin auf seine Rückkehr gehofft hat. (Vgl. Od. 24, 128-45.)
  5. Vgl. Od. 2, 106. Vgl. auch Schneider 1994, S. 103 sowie vgl. Marina Warner: In weiblicher Gestalt: Die Verkörperung des Wahren, Guten und Schönen. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 141.
  6. Schneider 1994, S. 103.
  7. Vgl. Lethbridge 2009, S. 96; vgl. Warner 1989, S. 147. Andererseits ist dieser Aufschub der Zeit eng mit dem Modus des Wartens verknüpft, denn auch hier geht es darum, etwas noch nicht zu tun bzw. etwas herauszuschieben. Und es scheint zudem so, als ob Penelope es darauf anlegt, diesen Endpunkt nicht selbst zu setzen, sondern von den äußeren Umständen abhängig zu machen – sei es nun durch die Freier, die ihre List entdecken und sie zu einer Heirat zwingen oder sei es in der Hoffnung, dass der lebendige Odysseus mit seiner Rückkehr einem der Freier doch noch zuvorkommt. Vgl. Schneider 1994, S. 103.
  8. Vgl. Gilles Deleuze/Félix Guattari: Kafka: Für eine kleine Literatur. Frankfurt/Main 1976, S. 7. Für Deleuze und Guattari wird durch diese rhizomatische Struktur nicht nur das Eindringen des Feindes, sondern auch des Signifikanten verhindert. In diesem Sinne lässt sich sowohl das Gewebe als auch dessen Auflösung als Struktur bezeichnen, die die „finale Feststellung“ des Signifikanten erschwert und in diesem Sinne vielleicht eher als „weibliche“ Seite jenseits einer phallogozentrischen Signifikantenlogik zu verstehen ist.
  9. Das Bild des stetig offen gehaltenen Gewebes erinnert an ein Beispiel, auf das John Scheid und Jesper Svenbro in ihrer Studie „The Craft of Zeus“ rekurrieren: Nach Scheid und Svenbro beenden Weberinnen, die dem indigenen Volk der Navaho zugehörig sind, ein Gewebe niemals vollständig, sondern lassen an einer Stelle eine Öffnung, an die später angeknüpft und das Werk erweitert werden kann. „The (…) Navaho wisdom also advises weavers not to finish their work completely, but to leave an opening somewhere within it.“ In: John Scheid/Jasper Svenbro: The Craft of Zeus: Myths of Weaving and Fabric. Cambridge/MA 22001, S. 5.
  10. Warner 1989, S. 139ff.
  11. Schneider 1994, S. 102.
  12. Dieser 1974 gehaltene Vortrag wurde, mit protokollierter anschließender Diskussion, veröffentlicht in: Michel Serres: „Mythischer Diskurs und erfahrener Weg“, In: Identität: Ein interdisziplinäres Seminar unter Leitung Claude Lévi-Strauss. Hg. v. Jean-Marie Benoist, Stuttgart 1980, S. 22-47.
    Der Vortrag wurde 1977 zudem in leicht veränderter Form unter dem Titel „Diskurs und Parcours“ im vierten seines insgesamt fünfbändigen Werkes Hérmes veröffentlicht. Vgl. Michel Serres: „Diskurs und Parcours“. In: Hermes IV, Berlin 1993, S. 206-221. Nach dieser Ausgabe werden die Zitate im Folgenden direkt im Text in abgekürzter Form zitiert als DP.
  13. Vgl. Doris Schweitzer: Topologien der Kritik: Kritische Raumkonzeptionen bei Gilles Deleuze und Michel Serres. Berlin 2011, S. 287.
  14. Vgl. Ulrich Meurer: „Kette, Schuss, Gegenschuss: Penelope als autoreflexive Figur in Godards Le Mépris“. In: Perseus‘ Schild: Griechische Frauenbilder im Film. Hg. v. Ulrich Meurer, Marie-Elisabeth Mitsou, Maria Oikonomou. München 2008, S. 125-161, hier: S. 126.
  15. Vgl. Meurer 2008, S. 126.
  16. Vgl. Meurer 2008, S. 127.
  17. Vgl. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt/Main 172008, S. 11 sowie 12f. Vgl. auch Inge Stephan: „Odysseus und die Sirenen: Zur Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer“, In: Musen & Medusen: Mythos und Geschlecht in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Inge Stephan. Köln 1997, S. 106-132, hier: S. 107f.
  18. Ellen Harlizius-Klück: s.v. „Weben, Spinnen.“ In: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Hg. v. Ralf Konersmann. Darmstadt 2011, S. 504-524, hier: S. 507.
  19. Harlizius-Klück 2011, S. 506.
  20. Zur Anwendung der Webmetaphorik im kosmologischen Denken der Griechen und Römer vgl. Robert Eisler (1910): Weltenmantel und Himmelszelt: Religionsgeschichtliche Untersuchungen zur Urgeschichte des antiken Weltbildes, 2 Bände, Hildesheim 2002; vgl. auch Johann Jakob Bachofen: Oknos der Seilflechter. Ein Grabbild. München 1923, S. 24ff.
  21. Vgl. DP, 217; vgl. Schneider 1994, S. 102.
  22. Vgl. Meurer 2008, S. 156, Fußn. 5; vgl. Uvo Hölscher: Die Odyssee: Epos zwischen Märchen und Roman. München 21990, S. 46: Nach Hölscher mündet an diesem Punkt der eine Handlungsstrang der Odyssee in den anderen. Tatsächlich seien es aber nicht zwei Geschichten, sondern eine: „Die einfache Geschichte, die wir hinter dem Epos erkennen, das Odysseus-Märchen, weist bereits in ihrer abstrakten Struktur zwei Stränge auf, die im Epos als kunstvolle Doppelhandlung gleichzeitiger Geschehnisse entfaltet ist. Auf ihre Vereinigung läuft die Logik der Geschichte hinaus.“
  23. Deleuze/Guattari 1992, S. 659. „Schließlich scheint ein solcher Raum zwangsläufig eine Vorder- und eine Rückseite zu haben; selbst wenn die Fäden der Kette und des Durchschusses genau gleich sind, die gleiche Zahl und die gleiche Stärke haben, hat das Gewebe eine Unterseite, auf der die Fäden verknüpft werden.“ (ebd.) Filz hingegen wäre eine Art „Anti-Gewebe“ und ein glatter Raum, da dieses als unendlich, offen und in alle Richtungen unbegrenzt charakterisiert werden kann.
  24. Deleuze/Guattari 1992, S. 304.
  25. Schweitzer 2011, S. 123f. sowie S. 129.
  26. Vgl. Schweitzer 2011, S. 460.
  27. Deleuze/Guattari 1992, S. 669.
  28. Vgl. Schweitzer 2011, S. 460 (auch vorhergehendes Zitat).
  29. Vgl. Schweitzer 2011, S. 463.
  30. Schweitzer 2011, S. 463.